1.Preis, Wettbewerb, Umbau, in Planung
Nutzung: Kultur, Büro & Archiv
Bruttogrundfläche: 1700 m2
Visualisierungen: STUDIO SOZIA
hhpberlin (Brandschutz)
stadtplus (Landschaftsarchitektur)
C4 engineers GmbH (Tragwerksplanung)
Transsolar KlimaEngineering (Energiekonzept)
Ingenieurbüro für Gebäudetechnik Uwe Häberle (HLS)
Städtebau und Landschaft
Das Rathausareal im historischen Stadtzentrum bildet mit dem Rathaus und dem repräsentativen Sitzungssaal in der Schranne das politische Zentrum der Stadt Illertissen. Durch die geplante Ansiedlung weiterer, öffentlicher Nutzungen mit Vereinshaus, Bürgerzentrum, Tafel und Musikschule soll das Areal zukünftig auch zum Repräsentationsort bürgerlicher Interessen werden. Hierfür gilt es, die stark heterogene Bestandsbebauung, die durch unterschiedliche Nutzungen, Volumetrien, Fassadengestaltungen und Baujahre geprägt ist, zu einem Ensemble zusammenzufügen und die bereits bestehende Platzsituation, welche durch das zukünftige Bürgerzentrum aufgespannt wird, als verbindendes Element zu etablieren. Um den zentralen Platz stärker zu rahmen, werden die Bereiche zwischen den Bestandsbauten durch unterschiedliche landschaftliche Interventionen verknüpft, räumlich zusammengefasst und verdichtet. Der Hauptzugangsbereich zum Areal zwischen Rathaus und Vereinsgebäude wird als Wartebereich und Treffpunkt ('Foyer') mit Sitzmobiliar und Infotafeln bespielt. Das Rückgebäude Adler wird aufgrund der augenscheinlich guten Bausubstanz und zur Einsparung von grauer Energie erhalten bleiben. Eine Bestandsaufnahme mit Baugutachten soll zeigen, ob der Bestand durch einen Umbau zur Gemeinschaftswerkstatt umfunktioniert werden kann. Das ‚Forum‘ auf dem Schrannenplatz wird durch ein großes, rundes Sitzelement sowohl zum Diskutieren im Anschluss an die Ratssitzungen einladen als auch eine Sitz- und Abstellmöglichkeit bei Hochzeitsempfängen bieten. Der Freizeitbereich, welcher sich zwischen Schranne, ehemaliger Feuerwehr und Walser Gebäude aufspannt, lädt mit einem Kinderspielbereich, Bürgergarten und natürlicher Freilichtbühne zum aktiven Mitmachen ein. Das Walser Gebäude wird auch in Zukunft die Musikschule beherbergen, und soll, falls die Bestandsaufnahme mit Gutachten den Bestand als erhaltenswert bezeichnet, weiter genutzt und umgebaut werden. Sollte die Bausubstanz den Anforderungen nicht gerecht werden, würden wir einen Ersatzneubau in ähnlicher Volumetrie vorschlagen. Der auch bisher infrastrukturell genutzte Bereich östlich des Adlergebäudes soll auch zukünftig erhalten bleiben. Neben den 45 Stellplätzen, darunter vier barrierefreie Stellplätze und vier mit Elektroladesäulen, finden zahlreiche Fahrradstellplätze Platz. Ein landschaftliches Hochbeet-Element fasst in funktionaler Nähe zu den Außenbereichen von Vereinshaus und neuer Werkstatt 16 neue Fahrradabstellplätze/-Reparaturstation sowie Sitzbänke für den Biergarten und schafft gleichzeitig eine visuelle Trennung zum ruhenden PKW Verkehr.
Während der heterogene Rand und seine neuen Außenräume spezifische Nutzungen vorschlagen, soll der zentrale Platz als flexibel bespielbarer Stadtgarten verstanden werden. Durch die lineare Schichtung unterschiedlicher Grün- und Bodenflächen wird in Abgrenzung zur Freiflächengestaltung des Marktplatzes eine kleinteilige Wirkung bei gleichzeitiger Sicht- und Wegeverbindung in und aus allen Richtungen ermöglicht. Die Flächen bieten unterschiedliche räumliche Qualitäten wie introvertiert, extrovertiert, sonnig, schattig, hart und weich und schaffen so, in Kombination mit beweglichen Sitzmöbeln, die Grundlage zur Bespielung mit mannigfaltigen Nutzungsszenarien. Während kleinere Veranstaltungen wie der Wochenmarkt sich zwischen den Grünflächen des zentralen Platzes verteilen, können Großveranstaltungen wie Stadtfest und Weihnachtsmarkt durch eine Nutzung der Randflächen über das ganze Areal verteilt werden. Durch eine ganzheitliche Neugestaltung der Freiflächen entsteht ein Ort, der die Vielfalt des öffentlichen Lebens zusammenbringt. Multicodierte Flächen dienen als Rückzugsort, Aufenthaltsbereich und Veranstaltungsort für die Bürger*innen. Dabei werden die natürlichen Höhenunterschiede des Geländes geschickt genutzt, um Sitzmöglichkeiten zu integrieren und abwechslungsreiche Räume zu schaffen. Blühende Stauden unter den alten, wertvollen Bäumen setzen optische und ökologische Akzente und schaffen eine intime Atmosphäre. Das Gestaltungskonzept orientiert sich an den vorhandenen Materialien der Altstadt und schafft einen ruhigen, einheitlichen Gestaltungskanon. Sickerfähiges Natursteinpflaster wird für die Fußwege verwendet, während wassergebundene Wegedecken und Schotterrasen den zentralen Freiraum definieren. Diese differenzierte Belagsauswahl trägt zur Aufwertung der Freiflächen bei und sorgt für eine lockere Strukturierung der großen Flächen. Das Konzept berücksichtigt die Folgen des Klimawandels durch die Auswahl von klimaresistenten Baumarten und multifunktionalen Pflanzbereichen, die als Rückhaltebereiche für Regenwasser dienen. Bestehenden Bäume wie Platanus x acerifolia (Ahornblättrige Platane), Acer platanoides (Spitz-Ahorn) und Acer platanoides „Globosum“ (Kugelahorn) werden durch zukunftsweisende Klimabäume wie Quercus frainetto (Ungarische Eiche) und Koelreuteria paniculata (Blasenesche) ergänzt. Durch die gezielte Integration von pflegeleichten Stauden wird die Biodiversität vor Ort gefördert und ein wertvoller Lebensraum für Flora und Fauna geschaffen. Die Gestaltung der Außenanlagen erfolgt unter Berücksichtigung von Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit, um eine langfristige und pflegeleichte Nutzung zu gewährleisten.
Hochbau
Da die vorgefundene Gebäudestruktur des L-förmigen Bestandsgebäudes, bestehend aus zwei weitspannenden Gebäudeschenkeln in Skelettbauweise und einem verbindenden ‚Gelenk‘ mit einer kleinteiligeren Struktur tragender Wandscheiben, die ideale Grundlage für eine Nutzung als Veranstaltungs- und Verwaltungsbau bildet, sollen die prägenden Gebäudemerkmale des Bestandsbaus wie Volumetrie, Tragstruktur, Organisation und die Orientierung durch Pultdach und großflächige Toröffnungen erhalten und durch minimalinvasive bauliche Interventionen räumlich gestärkt werden. Um die innere Struktur klarer herauszuarbeiten, werden in einem ersten Schritt nichttragende Wände und Einbauten rückgebaut. Während die großflächigen Nutzungen wie Veranstaltungsbereich und Verwaltung mit Stadtarchiv im Erdgeschoss bzw. Obergeschoss der beiden Gebäude-Schenkel untergebracht werden, soll das Gelenk dienende Räume, Erschließung und Foyer beherbergen.
Durch den Rückbau der Spindeltreppe, einem neuen Sitzelement unter der kreisrunden Deckenöffnung, der Umstrukturierung der Nebenräume mit neuem Sanitärbereich für Damen, Herren und barrierefreiem WC, einer Garderobe und einer Erweiterung der bestehenden Vertikalerschließung vom EG bis ins 1.OG wird der funktionale Charakter des Gelenks erhalten und als neues Foyer definiert. Die Fassade wird im Bereich des Gelenks von den Vorbauten befreit und durch zwei neue Fassadenelemente mit Eingangstüre und Signaletik der Gebäudekubatur folgend ergänzt. Um eine höhere Ausnutzung der Flächen und somit auch eine nachhaltige Gebäudenutzung zu ermöglichen, wird neben dem im Raumprogramm geforderten großen Hauptveranstaltungssaal noch ein weiterer, kleinerer, flexibel nutzbarer Multifunktionsraum für Veranstaltungen, Gastronomie oder als erweitertes Foyer integriert. Durch das gemeinsame Foyer, autark erschlossen und mit den notwendigen Nebenräumen ausgestattet, können so besonders in den veranstaltungsstarken Sommermonaten auch zwei voneinander unabhängige Veranstaltungen stattfinden. Zur Vermeidung von Leerstand außerhalb der Veranstaltungszeiten, besonders unter der Woche, schlägt der Entwurf die zusätzliche Nutzung als Nachbarschaftshaus der Stadt Illertissen vor. So sollen vielfältige Nutzungsszenarien wie zwei Veranstaltungen zeitgleich, ein großes Event mit Bar- und Gastronomiebereich oder die Nutzung als Nachbarschaftstreff mit bis zu drei unterschiedlichen Formaten, wie Sport, Lernen, Kochen oder Kinderbetreuung, möglich werden. Das für diese Mehrfachnutzung benötigte, besonders hohe Maß an räumlicher Flexibilität wird durch ein neues, raumhaltiges Einbauelement generiert. Ausgestattet mit Garderobe, Stuhllager, Teeküche, Lager für mobile Bühne und mobile Bar, Sitznischen und Spinden, welche für die unterschiedlichen wöchentlich wiederkehrenden Nachbarschaftsformate gemietet werden können, verläuft dieses entlang des stark geschlossenen Gebäuderückens, unterstützt dabei die bereits vorhandene Gebäudeausrichtung und schafft zugleich ein repräsentatives Erscheinungsbild in Foyer und Veranstaltungssaal. Um eine Erweiterung der Veranstaltungen in den Sommermonaten in den Außenraum zu ermöglichen und als Hommage an die ursprüngliche Nutzung als Feuerwehrgebäude, sollen die Toröffnung nach einer energetischen Ertüchtigung, dem Austausch der Gläser, in neuer Farbigkeit lackiert und mit neuen Passrahmen wieder als Fassadenelemente zum Einsatz kommen.
Im Obergeschoss wird der hölzernen Tragstruktur folgend der südliche Gebäudeschenkel durch nichttragende Trennwände in 5 Büroräume, der westlich in das Stadtarchiv mit zugehörigem Büro und einem Besprechungs- und Sozialraum unterteilt. Im Bereich des Gelenks finden der neu strukturierte Sanitärbereich, Lager, Teeküche sowie die fußläufige und die barrierefreie Vertikalerschließung platz. Die große Schwachstelle des Bestandsgebäudes ist die aufgrund mangelnder Raumhöhe funktional ungenügende Erschließungszone entlang der West- und Südfassade. In einer einzigen baulichen Intervention, der Anpassung der Dachgeometrie mit flacherem Winkel, dem Austausch der Fassade und der Integration eines Balkons, kann diese Schwachstelle behoben und mit vielfältigem Mehrwert aufgeladen werden: Der Balkon fungiert nicht nur als konstruktiver Sonnen- und Witterungsschutz für den Veranstaltungsbereich im Erdgeschoss, sondern auch als flexibler Arbeitsplatz und erweiterter Sozialbereich. Die neue Raumhöhe, die großzügige Verglasung, der Zugang zum Balkon, Sichtbezüge zu den Büroinnenräumen sowie Sitz- und Stehpult-Elemente laden zum flexiblen Arbeiten im Erschließungsbereich ein. Die unterschiedlichen Nutzungen und Öffentlichkeiten vom Erdgeschoss mit dem ehemaligen Schlauchturm und dem Obergeschoss sollen in der durch eine Außendämmung energetisch ertüchtigten Fassade ablesbar werden. In Anlehnung an die bestehende Materialisierung werden die Stahlbetonstützen mit neuen Stahlbetonfertig-Elementen verkleidet. Diese aus dem Abbruchmaterial hergestellten und punktuell an den Bestandstützen verankerten Elemente dienen gleichzeitig der Lastabtragung des neuen Balkons. Der Turm als Aussichts- und Kinderspielbereich sowie die opaken Rück- und Seitenwände werden mit einer hinterlüfteten Putzfassade mit vertikaler Kammstruktur versehen. Das neue Dach und die Außenwände des Obergeschosses werden witterungsbeständig mit einer Blechfassade verkleidet. Für eine einheitliche Raumqualität der Büroräume wird das Oberlichtband und einzelne Fenster entlang der Ostfassade ergänzt. Fensterrahmen und Blechfassade erhalten in Anlehnung an die Umgebungsbebauung und die neue grüne Mitte eine hellgrüne Färbung, Putz und Stahlbetonfertigteile im Erdgeschoss eine entsättigte, mittelgrüne Akzentuierung.
Durch den nahezu vollständigen Re-Use des Abbruchmaterials, minimalinvasive Eingriffe in die Gebäudestruktur, Lowtech-Lösung in der Gebäudeautomation des Energiekonzeptes und das außerordentlich hohe Maß an funktionaler Flexibilität charakterisiert sich der Umbau auch bei sich zukünftig geänderten Bedürfnissen und Anforderungen als hoch nachhaltig und zukunftsweisend.