Masterthesis Valerio Calavetta, 2017
European Steel Design Award 2019
1.Preis Förderpreis des Deutschen Stahlbaues 2018
Nachwuchspreis Heinze ArchitektenAWARD 2017
Friedrich-Weinbrenner Preis 2017
Das beste Beispiel für ein qualitativ hochwertiges Miteinander zwischen Sportaktivitäten und studentischem Wohnen ist der Olympiapark in München. Nach den Olympischen Spielen von 1972 trägt das Olympiadorf neben den Sportaktivitäten als erstes die Handschrift der Studenten, die das ehemalige Olympische Dorf überwiegend bewohnen und erlebbar machen. Die Bewohner zeigen, wie Wohnen, Sport und Veranstaltungen im Einklang harmonisch funktionieren und sich gegenseitig bereichern können. Die meisten Aktivitäten unten den Bewohnern finden Draußen zwischen den Fußwegen und kleinen Gassen statt. Sie definieren und beleben den Außenraum in und um die Sportstätte. Aus dem Areal des Wildparks ein neues Olympiadorf wie in München zu kreieren ist gewiss zu weit hergeholt.
Das Reizvolle am Wildpark Areal ist den studentischen Charakter der Universität mit dem sportlichen des Karlsruher Sport Clubs zu verschmelzen und somit einen neuen und einzigartigen Anziehungspunkt in Karlsruhe zu schaffen. Die direkte Nachbarschaft zum Campus des Karlsruher Instituts für Technologie ist für den studentischen Wohnraum ideal geeignet und besticht einerseits durch die Innenstadt nahe Lage und andererseits auch durch die Lage in Mitten des Hardtwaldes mit direkter Anbindung zum Schlosspark.
Das Wildparkstadion wird in einer normalen Saison mit 34 Spieltagen, ohne Pokal-, Relegations- und Freundschafts- spiele an 17 Heimspielen benutzt. Daraus folgt, dass das Stadion an 348 von 365 Tagen im Jahr nicht frequentiert wird. Das Stadion wird zu 4,7 % benutzt, andersherum steht es zu 95,3 % im Jahr leer. Die Trainingseinheiten des Karlsruher Sport Clubs finden auf den Trainingsplätzen um das Wildparkstadion herum statt um den Rasen zu schonen. Aus diesem Leerstand profitiert niemand und somit würde abermals ein nahezu toter Stadtbaustein entstehen. Das Wildpark Areal bietet um einiges mehr. Um ein attraktives Stadion mit einem Mehrwert, einer Daseinsberechtigung und einer Frequentierung von 100% zu erschaffen, muss die Bauaufgabe des Stadions als Hybridbau neu gedacht werden. Bauaufgaben, die nur im geringsten Maße frequentiert werden, müssen mit Funktionen verknüpft werden die gegenwärtig in der jeweiligen Stadt einen Mangel aufweisen, wie zum Beispiel der studentische Wohn- raum in Karlsruhe.
Wie kann ein solcher Stadionneubau durch Zusatzfunktionen einen Mehrwert für die Gesellschaft und die Einwohner Karlsruhes leisten? Können solche reinen Sportbauten auch als Hybride funktionieren und den mangelnden Wohnungsmarkt im positiven Aufstocken, bzw. neu definieren? Durch die Durchmischung von Funktionen wie Wohnen, Studieren und Freizeit wird die Stadtstruktur bunter und lebhafter. Die Außenräume, die sich zwischen den lebendigen Hybriden aufschlagen, profitieren von der lebhaften inneren Struktur, übernehmen diese von den Innen- in die Außenräume und übertragen diese auf die Stadt. Kann dem eingerosteten Wohnungsmarkt durch solche Interventionen ein neuer Gedankenansatz verliehen werden? Weg von dem Gedanken, dass großen reine Wohn-Bauten die einzige Möglichkeit seien profitablen und wirtschaftlichen Wohnraum zu erschaffen. Eine Kombination der drei Anforderungen des Stadions, Wohnen und Studieren unter einem Dach kann interessante Wege der Infrastruktur, neue Atmosphären und spannende Verbindungsräume zwischen den einzelnen Funktionen aufspannen. Die drei verschiedenen Funktionen bringen jeweils eigene Anforderungen mit ins Gebäude. Sie müssen selbstständig und unabhängig aber vor allem auch miteinander funktionieren. Der Außenraum um das Gebäude muss den Anforderungen der Stadionbesucher vor und nach dem Spiel als Erschließungs- und Aufenthaltsfläche aber auch den Studenten und Bewohnern als Erholungsfläche dienen. Ebenso muss die fünfte Fassade des Gebäudes, das Dach, durch die vielfältige Nutzung einen Mehrwert leisten. Die Anforderungen an ein modernes Stadion sind sehr hoch. Es muss eine wahnsinnige Menschenmasse beherbergen und dabei die Sicherheit gewährleisten. Der perfekte Blick auf das Spielfeld muss neben der sekundären Grundversorgung der Fans in jedem Fall gesichert sein. Multifunktionalität hängt stets mit der Wirtschaftlichkeit zusammen. Die Richtlinien des Deutschen Fußball Bundes (DFB) und der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) müssen berücksichtigt werden. Neben den beiden Mannschaften und der Medien besitzen die Fans einen besonderen Stellenwert. Sie sind für die Stimmung und die daraus folgende Atmosphäre im Stadion verantwortlich. Die lautstarken Emotionen und Äußerungen machen den ganz besonderen Reiz für das Publikum aus und sind untrennbar miteinander verknüpft. Aus rein wirtschaftlicher Sicht braucht der Fußball keine Zuschauer im Stadion. Die meisten Einnahmen werden durch das Fernsehen, die Medien und die Werbung erwirtschaftet. Jedoch sind Spiele ohne Zuschauer für das Fernsehen und die Werbung völlig ungeeignet, da die Fans mit dem Geschehen vor Ort eine Beziehung eingehen und dadurch Emotionen aufbauen und diesen freien Lauf lassen. Sie sind für die Stimmung im Stadion zuständig und diese überträgt sich durch die Medien auf den Zuschauer zuhause. Teilweise kennt der Zuschauer solche „Geisterspiele“. Auch falls das Fußballspiel von der Intensität und den Torereignissen spannend ist, kommt doch keine Stimmung und Emotionen auf. Es ist eher ein skurriles Ereignis in dem der Fernsehzuschauer sich unbehaglich fühlt. Um bei den Stadionbesuchern die richtigen Emotionen und Spannung hervor zu bringen, benötigt das Stadion einen sogenannten „Kesseleffekt“. Es muss eine amphitheaterische Anordnung mit sehr steilen und dichten Rängen vorweisen. Die ovalen, runden oder eckige Form eines Stadions ist vom Gedanken des Kesseleffektes keine Vorteilhafte. Die Emotionen, Stimmung und Spannung in einem Stadion hangt stark von der Architektur ab. Hat das Stadion nur einen Hügel, kommen keinerlei Stimmung, geschweige denn Emotionen auf. Die Architektur ist die Grundlage für die Entfaltung der Emotionen der Zuschauer.
Der Wildpark liegt an einer spannenden städtebaulichen Stelle. Einerseits mitten im Hardtwald umrundet von lauter Vegetation und andererseits mit direkter Nähe zur Innenstadt. Die Erschließung zum Fußballspiel bewerkstelligen die meisten Fans neben dem Auto zu Fuß. Die Fans steigen an den Haltestellen Durlacher Tor, Marktplatz oder Mühlburger Tor aus und pilgern zusammen kreuz und quer durch den dicht besiedelten Hardtwald zum Wildpark. Dieser gemeinsame Fußmarsch verbindet die Fans miteinander, da sie ein klares Ziel verfolgen. Sie zelebrieren es wie eine Art Pilgerwanderung, jedoch in anderer Form. Lieder werden gesungen, Fahnen geschwenkt und das erste Bier wird ebenfalls auf dem Weg zum Stadion getrunken.
Die fußläufige Erschließung des Wildpark Areals wird von der Stadt Karlsruhe und dem Karlsruher Sport Club als Problem erachtet. Die Idee eine neue Bahnlinie entlang des Adenauerrings zu errichten, die diese Problematik lösen könnte, wurde verworfen. Die fußläufige Erschließungsproblematik des Standortes wird als Ausgangspunkt des Gebäudekonzeptes genutzt. Die verschiedenen und verzweigten Wege werden aufgewertet und der Weg zum Stadion wird bis zum Spielfeldrand inszeniert und verstärkt. Der fußläufige Bewegungsfluss der Besucher durch den Hardtwald unter den Baumkronen wird durch das Gebäudekonzept weitergeleitet und mit der offenen Stützen-Struktur im Erdgeschoss gerichtet und sanft gebremst. Die Besucher werden somit fließend in das Stadion herein geleitet und stehen somit keiner direkten Fassade gegenüber, die den Bewegungsfluss beeinträchtigen könnte. Die grundlegende Funktion der Struktur ist die Überdachung der Stadionschüssel. Im Gegensatz zu konventionellen Stadien, deren primäre Dachfunktionen der Witterungsschutz, die Akustik und Ästhetik ist, soll das Dach im Entwurf die Zusatznutzungen aufnehmen und somit den Mehrwert schaffen, um die Benutzungsfrequenz auf 100% zu steigern. Durch die Zusatznutzungen wird das Stadion anstatt nur einmal in zwei Wochen zu den Heimspielen jeden Tag durch die Bewohner genutzt und belebt. Die Struktur ist in 6x6 Meter Feldern aufgespannt. Diese Felder werden von 1,20 Meter breiten Laufwegen ringsum verbunden. Die aufgespannten Felder zwischen den Laufwegen können durch verschiedene Nutzungen bespielt werden. Wobei die Hauptnutzung der Struktur die aktuelle Nachfrage nach studentischem Wohn- raum deckt. Verschiedenen Wohnformen von ein Zimmer Wohnungen, bis Wohngemeinschaften für zwei bis sechs Personen auf einer oder über mehrere Ebenen bieten ein vielfältiges Angebot. Neben den Wohnräumen und den funktional notwendigen Nebenräumen, wie Lager, Technik und Müll, spannen öffentliche Räume ein Netz zwischen den Wohnräumen auf und bieten eine breitgefächerte Auswahl an Treffpunkten für die Bewohner an. Neben verschiedenen Aufenthaltsflächen im Innen- oder Außenraum, erstreckt sich das Angebot an öffentlichen Räumen von Cafés und Bars, Grünräumen, über den Einzelhandel für die grundlegenden Lebensmittel, bis hin zu Sportanlagen, sowie Studier- und Arbeitsräumen für die Studenten. Die Unternehmensführung des Karlsruher Sport Clubs ist mit den Büro-, Konferenz- sowie Besprechungsräumen ebenfalls in der Struktur vertreten. Die Ausdehnung der Struktur wird durch die bestehenden Bäume des Hardtwaldes gebremst und somit entstehen Vor- und Rücksprünge im Struktursystem. Der komplette Baukörper weißt eine Brutto Grundfläche von 101.667 Quadratmetern auf. Die Außenraumflächen werden bei der Berechnung mit eingerechnet, da diese im Fall des Stadions als Spiel-, Aufenthalts- und Verkehrsfläche dienen. In der Struktur zählen die Außenräume und Verkehrsflächen als Kontaktzonen und Aufenthaltsräumen. Das komplette Gebäude fasst zwischen 327 (eine Person pro Bett) und 654 (zwei Personen pro Bett, z.B. Pärchen). Dabei wird viel Wert auf ausreichend Räume für das Studieren sowie Sport und Freizeitangebot gelegt. Die Anzahl der Wohneinheiten ist nach der ausreichenden Belichtung berechnet. Um die mehrgeschossige Struktur bestmöglich zu belichten treppt sich der Baukörper zur Fassadenkante hin ab und weißt zahlreiche Lichthöfe auf. Durch die der verschiedenen Raumvariationen entsteht eine Vielfalt und eine unvermeidliche Wucherung, die durch die Struktur in geordnete Bahnen gelenkt wird und wobei die Freiheit in den unendlichen Möglichkeiten der Kombination liegt. Das Stadion wird eben erdig und behinderten gerecht zwischen dem Ober- und Unterrang erschlossen. Die 13 Aufgänge im 35 Meter Fluchtweg Radius sorgen für die primäre Vertikalerschließung der Struktur. In der Struktur können die Bewohner durch Treppen zwischen den Räumen die Wege zwischen den Geschossen als sekundärVertikalerschließung abkürzen. Um die ausreichende Belichtung der Wohnräume zu garantieren orientieren sich diese an die Außenkante der Struktur an. Arbeits- und Studierräume, welche mit weniger Licht auskommen, orientieren sich in Richtung der Stadionmitte. Als Ausgleich für die Lärmbelästigung an einem der wenigen Spieltage können die Bewohner mit der primären Laufrichtung der Dachträger bis über halb der Spielfläche laufen und haben somit einen perfekten Blick auf das Spielgeschehen. An Spieltagen wird eine Sicherheitszone errichtet um das Stadion errichtet. Aus den äußersten Kreuzstützen lassen sich faltbare Zäune ausfahren, sodass einerseits die Sicherheits- und Ticketkontrolle erfolgen kann und gleichzeitig die Bewohner außerhalb der Sicherheitskontrolle ungehindert in ihre Wohnungen kommen. Versorgungseinheiten zur Verpflegung, Toiletten und Fan-Shops werden aus dem Boden (Untergeschoss) temporär nach oben gefahren.
Die zwei Bauteile des Gebäudes, Stadionschüssel und Struktur, unterscheiden sich nicht nur in der Funktion, sondern auch in der Konstruktion. Der Ober- und Unterrang des Stadions bestehen aus Beton Fertigteilen. Die Mundlöcher werden aus Ortbeton hergestellt und bilden die Tragstruktur für den auskragenden Oberrang des Stadions. Die Struktur hingegen besteht aus einer Stahlkonstruktion. Sie kann aus lediglich sechs verschiedenen Fertigelementen konstruiert und beliebig erweitert werden. Die Kreuzstütze, die Verbunddecke, die beiden Verkehrsflächen, das Raumtragwerk und die flexible Solarpanel als Sonnenschutz und Energiegewinnung. Die Kreuzstütze mit Aufweitung steht als Interpretation des Baumstumpfes des Hardtwaldes. Verbunddecken aus gedämmtem Trapezblech und Beton spannen über die 6 Meter Raum und steifen die Struktur gleichzeitig aus. Die geschlossenen Fassadenelemente der Räume bestehen aus einer 4mm Dicken reinweiß lackierten Stahlplatte. Der weiße Lack und das Glas der Öffnungen spiegeln das Grün des Hardtwaldes in der Struktur wider.